Achim – der Blonde hier mit der Höfner-Strat! - spielte als erster von uns öffentlich in einer Band, den Flying Stars. Sie spielten das, was alle Bands
bei uns damals spielten: Rock'n'Roll aus den USA und von Cliff und den Shadows.
Die Flying Stars spielten im Playmate am Ostpreußendamm, einer Bar in der Nähe der McNair-Kaserne in Lichterfelde Ost.
Das Publikum bestand hauptsächlich aus GIs und deutschen Frauen und Mädels.
Die „Bühne“ für die Band war ein vier Handtücher schmales Podest gleich rechts neben dem Eingang mit sowas wie einem Treppengeländer ringsherum,
hinter dem die Musiker inklusive Schlagzeug standen, resp. saßen. Die Band bestand aus vier Leuten:
Sänger mit Gitarre, Sologitarre (Achim), Bass und Schlagzeug. Und sie hatten Lurex-Jackets an – gold glitzernd!
Die Amis soffen und tanzten zur Musik der Band und die GIs hatten offenbar keine Probleme mit dem Englisch der deutschen Rock'n'Roll-Singerei.
Ich glaube, Achim hat mich sogar mal ran gelassen an die Sologitarre, bei einem Stück, dass ich besonders gut konnte.
Vor Fremden zu spielen, für Geld? Mir lief ein Schauer den Rücken runter und ich war schweißgebadet, als ich Achim die Gitarre wieder übergab.
Irgendwann, Monate später, musste Achim mal für zwei Wochen ins Krankenhaus – nichts schlimmes, aber die Band wäre dann ohne Sologitarre gewesen.
Er fragte mich deshalb, (und mein Herz schlug bis zum Hals in diesem Moment!), ob ich für ihn mal zwei Wochen einspringen würde, er würde mir dafür
auch seine Höfner (Strat-Nach-bau) solange borgen (ich konnte ja auch schlecht mit meiner Sorella auf einer Bühne öffentlich vor Publikum)...
Klar machte ich das. Ich kannte ja schon das Programm der Flying Stars und die kannten mich.
Nun war ich offensichtlich – man glaubt es nicht – Gitarrist in einer Band, die damit Geld verdiente und nicht ausschließlich in irgendeinem Übungsraum
eines Jugendheims vor sich hin übte!
Das wurden dann aufregende Nächte im Playmate! Die Amis fingen immer wieder mal an, sich zu prügeln, was ziemlich gefährlich aussah. Die Band war aber immer immun! Egal, was passierte. So brutal die GIs manchmal aufeinander los gingen – wir mussten uns nie Sorgen um unsere Sicherheit machen. Meisten kam dann ziemlich bald die MP und die ganze Geschichte erledigte sich schnell. Ich musste allerdings manchmal staunen, dass sehr kräftige, breite „Schränke“ vor dem kleinsten Mitglied der MP kuschten! Die schienen irgendwelche Fähigkeiten zu haben, von denen wir nichts ahnten und die ihnen nicht anzusehen waren.
Na jedenfalls bekam ich von den GIs sogar manchmal zustimmenden Beifall, wenn ich F T A (fuck the army) übers Mikrofon rief.
Zu dieser Zeit war es in West-Berlin üblich, dass gute Sänger aus anderen Bands mal hier und da vorbeischauten und dann von der Hausband gefragt wurden,
ob sie nicht mal eine Einlage singen wollten. So auch hier bei den Flying Stars im Playmate am Ostpreußendamm.
Einer dieser Einlagensänger hieß (nannte sich) Joey H. Nochwas. Er machte äußerlich auf GI obwohl er geborener Deutscher war und seine andere Masche war, dass er so tat, als sei er Jerry Lee Lewis. Er sang dann natürlich immer das obligatorische Whole Lotta Shakin' usw., wurde mit Beifall übersät, gab eine Zugabe nach der anderen, bekam am Tresen sein Bier aufs Haus und verschwand dann wieder mit seinem ganzen Hofstaat, den er natürlich mitgeschleppt hatte.
Ein anderer – viel besserer Sänger – hatte auch einen komischen Namen, er hieß (nannte sich?) Drafi Deutscher.
Der kam auch mit seinem Hofstaat öfter vorbei und es hieß dann immer „Eijh, Drafi, singste mal 'ne Einlage?“
Wenn der dann loslegte war ich völlig sprachlos! Drafi sang Elvis wie Elvis, Cliff wie Cliff und Little Richard wie Little Richard! Das hatte ich noch nie
gehört! Er konnte wirklich ein ganz hartes Tutti Frutti wie Little Richard singen oder noch schärfer, das Bop A Lena von Ronnie Self (über den die Gerüchteküche
damals erzählte, dass er beim Singen dieses Stückes einen Lungenriss erlitten hatte, was aber Quatsch war). Drafi war aber auch imstande, im nächsten Moment ein
ganz zartes, weiches Donna von Ritchie Valens lupenrein zu singen oder ein Living Doll von Cliff!
Seine späteren Plattenhits geben nur ungenau wieder, was er wirklich konnte und das lag nicht zuletzt an den Plattenstudios, aber dazu komme ich später noch.
Inzwischen waren die zwei Wochen Krankenhausaufenthalt für Achim vorbei und damit auch meine abenteuerliche Tätigkeit als Gitarrist einer öffentlich
auftretenden Band.
Dann kam der Hammer! Die Flying Stars fragten mich, ob ich nicht bei ihnen bleiben möchte, ich wäre ein viel besserer Gitarrist als Achim!
Erstmal geht sowas natürlich runter wie Öl.
Es stand aber eigentlich schon von vornherein fest – sowas ist mit mir nicht zu machen! Einem Freund in den Rücken fallen geht gar nicht!
Damit war das Thema Flying Stars erledigt – dachte ich...
Eine Woche später kam der Sänger nochmal zu mir, sie hätten sich von Achim getrennt, ob ich jetzt nicht nochmal darüber nachdenken könnte... Nach Rückfrage bestätigte Achim die ganze Geschichte und machte mir Mut, das Angebot doch nun anzunehmen. Was ich dann auch tat. Die folgende Zeit war für mich dann eine längere Gitarren-Trainingseinheit unter Frontbedingungen, die mich sicherer und mit zunehmender Sicherheit auch selbstbewusster werden lies.
Ich kam allerdings durch das ständige Nachtleben auch immer häufiger mit der Halbwelt in Berührung und hatte mit Leuten zu tun, die ich unter normalen
Umständen bestimmt nie kennengelernt hätte (Nutten, Türsteher, Kleinkriminelle, Zuhälter etc.). Außerdem bekam ich nähere Einblicke in sowas wie z.B.
Syphilisbehandlung bei einem Sänger, wurde aufgeklärt über Tripper und die Symptome bei Filslausbefall etc. und bekam gute Arztadressen für den Fall der Fälle.
Ich trieb mich dann auch oft in den anderen einschlägigen Etablissements Berlins herum, in denen Musik von Bands gemacht wurde.
Man muss sich das mal vorstellen - die Gesamtsituation war eine völlig andere als heute:
Rock'n'Roll, später Beat-Musik war die alles toppende Mode dieser Zeit. Jeder Kneipier, der irgendwie ein kleines Plätzchen als Bühne zur Verfügung
stellen konnte, tat dies auch. Da gab es Kneipen, die gerade mal handtuchbreit waren und dann noch an der schmalen Stirnseite gegenüber der Eingangstür
ein Podest eingerichtet hatten, das die Bühne sein sollte.
Die Florida Bar in Neukölln war auch so ein Beispiel dafür. Wenn da ein Schlagzeug auf der „Bühne“ stand, mussten sich die Restmusiker irgendwie drumherum
verteilen und teilweise neben dem Podest stehen. Aber egal! Es wurde losgedröhnt und das Bier lief und die Kneipe war voll.
Die Finanzierung der ganzen Geschichte wurde dann auch – je nach Kneipier – nach individuellen Vorstellungen gehandhabt: Feste Gagenvereinbarung vorher,
anteilige Gage am Eintritt usw. Verzehrgutscheine für die Band oder Freibier am Tresen usw.
Alle Bands hatten englische Namen (The Beats, The Allies, Didi and his ABC-Boys, Restless Sect, The Beatcats, The Twangy Gang) und spielten nach.
Da wir alle fast immer die gleichen Stücke im Programm hatten, kannte ich auch die meisten Texte und da ich in Englisch an der Schule auch ganz gut war,
hörte ich sofort, wenn da bei einem Sänger was nicht so ganz korrekt war.
Was die Besatzungssoldaten sich da manchmal von den Berliner Bands an Englisch anhören mussten... Manchmal gab es wirklich Bands, bei denen der Sänger offensichtlich gar kein Englisch konnte und dann rein phonetisch durch das Mikrofon krähte. Ich weiß nicht, wie das bei den GIs und den Tommies angekommen ist. Sie zeigten nie irgendwelche Reaktionen oder hämisches Grinsen hinter vorgehaltener Hand, wenn da einer mal „Ähff Tschuuh Bedderpläähn TUMotto Fässt..“ sang! Das sollte die erste Zeile von Route 66 sein! Im Original „If you ever plan to motor west“. Meine Besuche im Jugendheim Rathausstraße fanden weiter statt, allerdings konnte ich jetzt im Gegensatz zu früher schon etwas mehr vorweisen – ich spielte als Sologitarrist an den Wochenenden nachts in Bars mit einer Band.