Irgendwann gings mit den Team Beats ins Plattenstudio. Unser Manager hatte wieder irgendwo herumgemanaged.
Die Ariola sollte unsere erste Platte für den Star-Club Hamburg herausbringen und wir konnten sogar über die Stücke entscheiden! Für die Rückseite hatte ich schnell ein Stück hingehuschelt, immerhin meine Erstkomposition. Die A-Seite sollte ein Stück von Gene Vincent werden: Say Mama.

Nun gut. Im Programm hatten wir das Stück sowieso schon länger. Das Üben dafür war deshalb unnötig. Wir gerieten also zum ersten Mal in eine Studio-Atmosphäre – war es das Hansa Studio? Ich weiß nicht mehr so genau, ob dort die erste Platte aufgenommen wurde. Eine ähnliche Situation, wie seinerzeit im Titania Palast: Ein paar ältere Herren hatten das Sagen, die da immer schon aufgenommen und geschnitten hatten.

Ich hatte einen alten VOX AC 30 und eine 62er SG, zwei Dinge, die man heute mit Gold aufwiegen würde wegen ihres unwiederbringlichen Sounds. Der sollte warm und etwas rau und angezerrt klingen, weshalb man zwar nicht alle Potis nach rechts drehen musste, aber immerhin mindestens die Mittelstellung einjustieren sollte, – aber nicht mit diesen Herren Studiotechnikern! Die hatten keine Ahnung, wie aktuelle Beatmusik klingen sollte. Sie stammten ja noch aus der Bully Buhlan-Zeit! Also wurde das auch so gemacht:

Die Verstärker wurden so leise wie möglich gedreht, wodurch der Sound völlig blass wurde und sich nach nichts anhörte. Und dann wurde ein mönströses Riesenmikrofon dicht vor die Lautsprechermembran gestellt. Ich hatte noch nie vorher so einen sterilen Kacksound gehört!

Aber unsere Beschwerden bei den älteren Herren führten zu gar nichts und lösten sogar noch Empörung aus. Wie wir uns überhaupt anmaßen konnten, gestandenen Tonstudio-Profis ins Handwerk reden zu wollen!

„Wir haben sämtliche Aufnahmen mit Marika Rökk gemacht und die sind alle Hits geworden!!"

Für alle, die heute noch manchmal unsere Platten bei ebay ersteigern: So haben wir damals in Wirklichkeit nicht geklungen!!!

Waldbühne '65

Im Spätsommer, am 15. September 1965, sollten die Rolling Stones nach Berlin kommen!

Die ältere Generation ahnte mal wieder von nichts, wie damals bei Bill Haley and his Comets im Sportpalast, als ich noch zu klein war, um da dabeisein zu dürfen!. Presseberichten zufolge hatte es ziemlich Randale gegeben und es ist einiges zu Bruch gegangen. Die Rolling Stones in Berlin wäre der Höhepunkt all dessen, was sich Jugendliche in West-Berlin jemals erträumt hatten!

Wir vor den Stones!

Weiß der Himmel, wie unser Manager das wieder hinbekommen hatte, aber wir sollten das Waldbühnenkonzert eröffnen!

Wir!

Mann, Mann, Mann!
Das ging natürlich runter wie Öl! Und obwohl wir einige Erfahrungen mit großen Hallen vor reichlich Publikum gemacht hatten – hier stieg das Lampenfieber in unbekannte Höhen mit Schweißausbruch und zittrigen Knien.
Wie bekamen wir diese Aufregung in den Griff? Captagon!
Bei allem Gerede über Sex&Drugs&Rock'n'Roll dieser Zeit, unsere Droge neben dem Alkohol war das amphetaminverwandte Captagon. Kleine Tabletten, ein verschreibungspflichtiges Medikament. Ein Mittel gegen Müdigkeit, ein Antidepressivum. Die Dosierung musste man selber testen, ein kurzes Weilchen nach der Einnahme stürmte man mit Adrenalin zugeschüttet los. Die Mundschleimhaut war knochentrocken.
Wir haben das Zeug zwar nicht immer geschluckt, wohl aber zu wichtigen Konzerten vor Publikumsmassen in großen Hallen. Wie zum Waldbühnenkonzert beispielsweise.
Die Waldbühne war viel zu klein für alle West-Berliner Jugendlichen – da hätte man mindestens drei Waldbühnen gebraucht, wenn das überhaupt gereicht hätte!
Der Eintritt kostete damals 4,- 8,- und 12,- D-Mark, lächerlich! Es war allen klar, dass man nur mit Einfallsreichtum sicher sein konnte, an diesem legendären Konzert teilnehmen zu können. Brav in einer Reihe an der Kasse anstehen wäre bestimmt ein Witz gewesen! Das hätte nie und nimmer funktioniert bei diesem zu erwartenden Andrang.

Vorarbeiten

Einen Tag vor dem entscheidenden Ereignis fuhr ich mit Kurt-Peter Müller nachmittags zur Waldbühne, die ja dem Namen nach in einem Wäldchen liegt. Wir gingen an irgendeiner Stelle in diesen Wald, und siehe da – nicht nur wir!
Ich habe von unserer Warte aus ein halbes Dutzend Jugendliche gesehen, die sich durch das Unterholz Richtung Waldbühne bewegten. Und es wurden immer mehr, je näher wir dem hohen Drahtzaun kamen, der die Waldbühne ringsherum umschloss.
Hm...dachte ich noch – was wollen die denn alle schon einen Tag vorher hier? Bis ich sah, dass hier und da Zangen und sonstiges Werkzeug am Zaun eingesetzt wurde. Die schufen sich schon heute ihre Eingangspforten für morgen! Überall! Am kompletten Zaun rund um die Waldbühne! Und ohne dass ein Offizieller oder ein Wachschutz weit und breit zu sehen gewesen wäre. Kurt-Peter hatte auch einen Seitenschneider dabei. Er knipste ein paar Stellen des Maschendrahtzauns durch und weg waren wir.

Ein milder Spätsommertag

Wir konnten bequem mit unserem VW-Bus in die Waldbühne zur Bühne vorfahren, lange vor dem Einlasstermin. Wir luden aus, bauten auf und harrten der Dinge, die da kommen sollten...

Ich glaube, vom Haupteingang kam nicht mal die Hälfte der hereinstürmenden Massen. Es ging aber insgesamt sehr friedlich zu. Natürlich war lange nicht für jeden ein Sitzplatz vorhanden – war ja klar! Viele saßen auf Bäumen und ein paar sogar auf den Laternen, wo sie johlenden Beifall des Publikums entgegen nahmen. Einer schwankte sogar auf einer Laterne hin und her.

Es waren Ordner zu sehen, die sich aber überwiegend auf der Bühne herumtrieben, und es waren auch viel zu wenige angesichts der Massen unten und hinten und oben! Der Vorplatz der Bühne, ein Rondell, wurde aber nicht betreten und war zunächst noch frei.

Ein schöner, milder Spätsommertag. Die Sonne schien. Blauer Himmel mit ein paar Schäfchenwolken. Mit dem Sonnenuntergang, als sich der Himmel im Westen über Spandau rot färbte, kam Lagerfeueratmosphäre auf. Einige hatten unten am Rande des Rondells kurz vor der ersten Sitzreihe ein paar Feuer entfacht! Eigentlich nichts Schlimmes, aber ungewöhnlich und unter den Augen der Ordner oben auf der Bühne eine bodenlose Frechheit.

Es sollte langsam losgehen!
Wir bekamen einen Wink und Butschi ging, wie er das meistens machte bevor wir loslegten, zu seinem Schlagzeug, um noch mal kurz die Felle nachzustimmen und drosch dabei, war es Zufall oder Absicht?, ich weiß es nicht mehr und er wahrscheinlich auch nicht, das allen bekannte Schlagzeugmotiv von Let's go:

BAMM BAMM BABABAMM BABABABAMM BAMM BAMM

Und wie ein Tsunami schwappte die Publikumswelle von den Sitzreihen an die Bühne! Wir waren als Dreierreihe voller Captagon und Adrenalin mit unseren Gitarren bis nach vorne an die Reeling gestürmt und legten los. Welches Stück? Ich weiß es nicht mehr. Unser ganzer Auftritt versank im verklärten Nirvana eines Tagtraums.... Denken war nicht mehr drin! Alles, was wir spielten, lief im Affekt. Nachdenken über Akkorde, Text und Setliste war nicht mehr möglich, aber wir hatten unser Programm schlafwandlerisch parat! Jahrelanges Training!
Mittendrin fielen dann die Gesangsboxen der Waldbühne aus. Es kam überwiegend Geschepper aus den Boxen und die Backline war lauter als der Gesang. Wir stellten um – sogar das klappte! Wir spielten ein paar Stücke mit vielen Breaks, in denen ohne Instrumente der Gesang alleine zu hören war. Ich erinnere mich da noch an Chuck Berry's Too much monkey Business das ich gesungen habe.

In dieser Situation verschwamm das Publikum entweder vor meinen Augen als wabernde Masse oder aber, was auch oft vorkam, dass ich einzelne Gesichter oder Gruppen von Gesichtern auch in den weiter entfernten Sitzreihen wie mit einer Lupe vergrößert dicht vor mir sah. Inzwischen standen alle und wippten mit. Zum Schluss Beifall und Erleichterung bei uns.

Wir hatten das legendäre Sommerkonzert eröffnet!

Worauf alle seit Jahren gewartet hatten: Die Stones kamen als Hauptakt, nachdem noch die eine oder andere Band vorgeheizt hatte, auf die Bühne. Ich saß auf einer Echolette-Box auf der Bühne und hatte den denkbar besten Blick. Brian Jones stand genau vor mir in greifbarer Entfernung, Bill Wyman rechts und der Rest weiter links.

Wenn man die Stones immer nur aus Zeitungen und Abbildungen gesehen hatte, dann ist das plötzliche Sehen der Leibhaftigen doch etwas ernüchternd: sie waren ziemlich klein! Ich mit meinen 188 cm plus Tom Shoes war wesentlich größer als z.B. Bill Wyman, und wenn man sich die Boots wegdachte, waren die Stones ganz schön klein. Aber nicht musikalisch! Sie brachten eben diese lang ersehnte Gefühlswelle rüber – egal wie sie spielten. Endlich hatten wir mal das, was wir immer schon herbeigesehnt hatten! Endlich!

Mick Jagger trug an diesem Tag ein groß kariertes Jackett, das er später in die Hand nahm und über die Reeling hinweg zum Publikum schwenkte. Die Köpfe da unten schwenkten mit und versuchten, das Jackett zu fassen, was Mick aber verhinderte – das war so ähnlich wie das Wurstschnappen früher bei Onkel Pelle auf einem Kinderfest. Mick trieb dieses Spielchen eine ganze Weile.

Die Bühne hinter den Stones war nicht gerade leer, ich meine, ich hatte mich ja schon auf die Box hinter Brian Jones gesetzt (siehe Zeitungsausschnitt), aber es saß und stand noch eine Reihe anderer Leute irgendwo im Hintergrund herum inklusive der paar Ordner.

Und plötzlich, als Mick Jagger mit seinem Jackett mal wieder über den Köpfen der Menge vor der Bühne herumfuchtelte, kam ein Typ aus dem Hintergrund der Bühne gerannt, schnappte sich Micks Jackett und hechtete damit in die Menge. Mick Jagger war starr und wütend! Unten vor der Bühne an der Stelle, wo der Typ mit der Jacke eingetaucht war, eine Szene wie aus Filmen über Piranhas, wenn jemand eine Kalbshaxe ins Wasser geworfen hat:
Es kochte und brodelte und man sah zwischendurch immer wieder mal das Jackenmuster mit den großen Karos auftauchen und verschwinden oder nach links und rechts gezerrt bis die Stofffetzen immer kleiner wurden und in den Taschen der Fans verschwunden waren. Glatte Meeresoberfläche, als ob nichts geschehen wäre! Ob noch wichtige Privatsachen in Micks Jackett gewesen sind? Er war jedenfalls empört, außer sich vor Wut, und die Stones beendeten kurz danach das Konzert!

Das stand aber so nicht im Programm!

Als die Menge merkte, dass die Stones den Schluss des Konzerts ernst meinten, kochte sie über. Da wartete man jahrelang bis endlich mal so ein Konzert in Berlin stattfand, und dann wurde das schnell wieder abgebrochen! Ich bin sicher, dass man das Folgende dem zu frühen Abbruch zuschreiben muss - und den Umständen, die dazu führten.

Die Wut brach los wie ein Schrei aus einer Kehle. Die Bänke wurden eingetreten und der Mob walzte alles nieder, an dem er seinen Frust auslassen konnte.
Mit unserem VW-Bus geordnet das Gelände zu verlassen war nicht mehr möglich. Ich fand mich irgendwann auf dem Weg zum nächsten S-Bahnhof wieder, inmitten einer tobenden Masse.

Der S-Bahnhof Berlin-Pichelsberg war verschlafen, selten benutzt, mit je einem Gleis links und rechts und in der Mitte einem kleinen Fahrscheinhäuschen aus Holz, in dem eine ältere Dame saß, um die Fahrscheine zu lochen.

Haben Sie schon mal in einem Western gesehen, was eine Stampede ist? Wenn die Rinderherde bis zum Horizont plötzlich erschreckt wird und los stürmt ohne Rücksicht auf Verluste?

Die Masse wälzte sich auf den kleinen S-Bahnhof zu, setzte das Fahrscheinhäuschen mitsamt der kreischenden Insassin an die Seite, enterte den gerade einfahrenden Zug, und riss und raffte alles Mögliche und Unmögliche mit, was auf dem Bahnhof und im Zug nicht niet- und nagelfest verankert war. 20 Jahre lang durfte in der Waldbühne kein Konzert mehr stattfinden!

Die Presse hatte ein gefundenes Fressen, den Beweis, dass die Jugendlichen heutzutage alles schwerkriminelle, randalierende, langhaarige und ungewaschene Gammler waren. Endlich mal hatten die Volksmeinung und der gesunde Menschenverstand in Bild, B.Z. und Morgenpost wieder Recht.